Autor: Florian Beckerhoff
Genre: Gegenwartsliteratur
Ausgabe: Gebunden, 256 Seiten
Erschienen: 09.10.2017 bei HarperCollins
Er kam der Liebe wegen nach Berlin: Herr Haiduk. Er blieb, die Liebe nicht. Seitdem betreibt der in die Jahre gekommene Herr seinen winzigen Kiosk, in dem es fast alles gibt: Zeitungen und Kaffee, Geschichten und Lottoscheine. Er genießt sein ruhiges Leben, bis eines Tages die scheue Kundin Alma das Jackpot-Los über 13 Millionen Euro vor dem Laden findet und den rechtmäßigen Gewinner ermitteln möchte. Gemeinsam mit Herrn Haiduk und seinem Gehilfen Adamo macht sie sich auf die Suche: Wer ist der Glückliche? Und kann er so viel Glück überhaupt vertragen?
(Cover, Klappentext und bibliografische Angaben entnommen von harpercollins.de)
Dieses Buch verspricht schon vom Klappentext her, eine gemütliche Reise durch das Leben verschiedener Menschen zu werden. Vor dem Hintergrund der Suche nach dem glücklichen Lottogewinner erhalten wir kleine Einblicke in den Alltag und die Seelen einiger Menschen aus der Umgebung von Herrn Haiduks Laden. Das Buch ist nachdenklich und regt zum Denken an, richtige Tiefgründigkeit vermisste ich am Ende aber doch.
Der Stil des Buches gefiel mir vom ersten Moment an: Aus der Ich-Perspektive schildert ein Autor, der inzwischen keiner mehr ist, seine Rückkehr zu Herr Haiduks Laden, wo er früher öfter gewesen ist. Der Besitzer, Herr Haiduk, erkennt ihn, freut sich und will ihm unbedingt eine besondere Geschichte erzählen. Ein großer Teil des Buches ist dann in der erzählenden Perspektive des Autors geschrieben, der die Erzählungen von Herrn Haiduk und seinem Gehilfen Adamo wiedergibt. Die Mischung ist gelungen und macht für mich einen wesentlichen Teil des Lesegenusses aus. Immer wieder kehren wir von Herrn Haiduks Erzählung ins Hier und Jetzt zurück, um ein wenig mehr über den Alltag des Autors zu erfahren.
Liebenswürdige Figuren
Die Figuren selbst sind größtenteils glaubwürdig und in sich stimmig gestaltet. Der Autor ist ein rundum normaler Mensch, während Herr Haiduk definitiv verschroben ist, aber auf eine liebenswürdige Art. Alma wird auf eine typische Weise als gleichzeitig naiv und sehr stark beschrieben. In ihrer Naivität, die der eines Kindes gleicht, liegt ihre Stärke, da sie so fest an ihre Wahrnehmung der Welt glaubt, dass sich sich fast nie beirren lässt. Obwohl das ein Charakterkonzept ist, das mir gefällt, musste ich bei Alma doch manchmal die Stirn runzeln, da es beinahe zu übertrieben wirkte. Immer wieder wird uns Lesern erzählt, wie sonderlich sie ist, irgendwann wird es zu viel.
Andererseits ist es gerade ihre Art, die an die Kindheitsheldin Momo erinnert, die es uns erlaubt, diverse andere Menschen, die nur kurze Auftritte haben, sehr plastisch wahrzunehmen. Der Mittelteil des Buches besteht hauptsächlich aus den Gesprächen, die Alma mit Lottogewinner-Kandidaten führt, und obwohl diese Gespräche teils kurz sind, zeichnen sie doch stets ein rundes Bild eines Charakters. Alma hört zu, lässt keine Lüge gelten und zwingt mit ihren sehr schlichten Fragen, jeden Menschen dazu, ehrlich zu sich selbst zu sein. Manche lügen und wollen das nicht zugeben, andere versuchen nicht einmal zu lügen, wieder andere schämen sich für ihr Verhalten. Jedem zwingt Alma einen Spiegel auf. Das ist in diesem Buch ein deutlicher Höhepunkt.
Am Ende war ich ratlos
Insgesamt jedoch hat mich die Geschichte ratlos hinterlassen. Zwischenzeitlich äußerte der Autor Ungeduld darüber, wie langsam Herr Haiduk die Erzählung vorantrieb, wie sehr er ihn auf die Folter spannte und offensichtlich das Interesse genoss. Als Leserin ging es mir genauso, ich wurde irgendwann sehr ungeduldig. Einerseits geschah zwar eine Menge, und sicherlich dienten gerade die Unterbrechungen der Geschichte mit Einblicken in die Gegenwart dazu, das Erzählte sacken zu lassen und Langsamkeit generell zu feiern. Auch wird deutlich, wie bedeutend das Glück eines einfachen Augenblicks sein kann, wie er beispielsweise in dem Grillabend im Hinterhof bei leichter Sommerbrise sein kann. All das verstehe ich durchaus. Dennoch wurde ich zunehmend ungeduldig und am Ende gab es in meinen Augen keine befriedigende Auflösung, welche diese Langsamkeit wirklich gerechtfertigt hätte. Dass auch der Autor sich empört zeigte über Herrn Haiduk, rettet für mich das Ende leider dennoch nicht.
Das Buch will über Glück nachdenken und stellt die Frage, ob nicht eigentlich die Idee von Glück sehr viel wichtiger ist. Das ist spannend und zwischendurch gibt es da wirklich spannende Ansatzpunkte, doch am Ende verlief es für mich zu sehr im Sand. Es war ein Genuss, diese Geschichte zu lesen, aber sie hinterlässt entgegen meiner Erwartungen nichts. Das ist schade. Die Offenheit, die zum Nachdenken einladen könnte, tut es, zumindest in meine Fall, leider nicht.
Fazit:
Der Roman „Herrn Haiduks Laden der Wünsche“ von Florian Beckerhoff ist ein wundervoller Lesegenuss, der die Einfachheit des Augenblicks und das Glück in kleinen Dingen feiert. Liebevoll gestaltete Figuren liefern vor der Kulisse des kleinen Ladens ein hübsches Kammerspiel ab, während die große Frage des Glücks erörtert wird. Leider bleibt das Ende auf unbefriedigende Weise offen, so dass die teilweise langatmige Art des Erzählens nachträglich keine Rechtfertigung erfährt. So schön sich das Buch auch lesen lässt, so interessant die Charaktere auch sind, am Ende bleibt wenig übrig. Trotzdem kann ich das Buch empfehlen, alleine schon weil der Mittelteil ein wunderschön nachdenklicher Höhepunkt war.
Ich vergebe 4 von 5 Kaffeetassen.
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Hallo Julia,
ich bin vom #litnetzwerk hergekommen.
Das vorgestellte Buch find ich interessant, schade, dass es sich am Ende nicht aufgelöst hat. War das so beabsichtigt?
Dennoch klingt es wirklich gut. Ich mag auch deine grafischen Elemente in der Rezension und deinen Stil!
Liebe Grüße
Daniela
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Hey, danke für den Kommentar.
Ich verstehe an sich schon irgendwie, warum das Buch so geendet hat. Es ist ein Buch, das Fragen stellt und zum Nachdenken einlädt, ohne Antworten vorschreiben zu wollen. Insofern hat das Ende dazu gepasst. Aber für mich war es leider trotzdem unbefriedigend, weil die Geschichte insgesamt so hängen geblieben ist.
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