Für jemanden, der ohne Romantik in seinen Geschichten nicht auskommt, stellt sich die Frage nach einer guten Liebesszene immer und immer wieder. Ich trenne dabei Liebesszenen von Sexszenen, denn letztere sind noch einmal einen ganz eigenen Artikel wert. Hier geht es um alles, was vor dem Sex passiert: Vom Meet-Cute („süßer Spontan-Treff“) über ein romantisches Candle-Light-Dinner bis zum ersten, echten Kuss – was kann ich als Autor tun, um meine Leser in der Szene versinken und ihre Herzen höher schlagen zu lassen?
Vorher: Die Szene vorbereiten
Fast alle Liebesszenen brauchen irgendeine Form von etablierter Charakter-Chemie. Wenn man sich nicht gerade ganz am Anfang befindet und einen „Meet-Cute“ schreibt, kann man eine romantische Situation nicht einfach so in den Raum werfen. Der Leser muss darauf vorbereitet sein. Wenn der Leser nicht von sich aus bereits spürt, dass da etwas, dass da mehr ist zwischen Person A und B, dann wird auch die beste Beschreibung der Szene selbst kein Herzklopfen verursachen. Wir lesen, um uns in andere Welten entführen zu lassen – und um andere Menschen kennezulernen, mit ihnen zu leiden und zu leben. Der erste Schritt für eine gelungene Liebesszene besteht also darin, A und B dem Leser vorzustellen und ihre Beziehung zueinander zu erkunden.
Dabei gibt es zwei ganz klassische, aber gegensätzliche Ansätze. A und B treffen sich auf irgendeine Weise und sind einander sympathisch. Je häufiger sie zusammen in einer Szene sind, desto mehr spürt der Leser, dass beide sich zueinander hingezogen fühlen. Oder vielleicht kennt der Leser auch nur die Perspektive von Person A, welche zwar selbst hoffnungslos verliebt ist, aber nicht erkennen kann, ob B ebenso empfindet? Kurze Andeutungen im Verlaufe der Geschichte reichen, ein flüchtiger, zweifelnder Gedanke hier, ein kurzer, spritziger Dialog da, schon weiß der Leser: Aha, da kommt etwas auf uns zu. Beinahe sehnsüchtig fangen wir an, darauf zu warten, dass die romantische Spannung sich endlich entladen kann.
Genauso gut aber können Person A und B sich auch spinnefeind sein. Eingenommen von einem schlechten Bild vom anderen, sind sie gar nicht in der Lage, irgendwelche guten Eigenschaften zu erkennen. Wann immer sie in einer Szene zusammen auftauchen, fliegen die Fetzen. Ein Wort gibt das andere, normale Unterhaltungen eskalieren, weil einer den anderen absichtlich falsch versteht. Vielleicht bekommt der Leser auch mit, dass Person B Spaß an den Wortgefechten hat? Vielleicht kommen A und B sich im Streit aus Versehen körperlich nahe und bemerken dabei, dass sie trotz aller Ablehnung den anderen attraktiv finden? Immer wieder jedenfalls drücken sie ihrem Umfeld gegenüber die Verachtung für einander aus, beschweren sich und sind generell viel emotionaler, als man sie sonst kennt. Hier ahnt der Leser schon, dass die explosive Mischung früher oder später Feuer fangen wird. Entweder sie bringen einander um, oder sie verlieren sich in einem leidenschaftlichen Kuss – und mehr.
Wichtig ist: Wenn der Leser sich nicht für die Charaktere interessiert, interessiert er sich auch nicht für die Liebe zwischen beiden.
Mittendrin: Wie schreibe ich eine romantische Szene?
Nachdem jeder Leser also weiß, wie die Beziehung zwischen beiden Charakteren aussieht, brauchen wir einen guten Eingang in die Szene. Vielleicht finden sich beide auf einer Party plötzlich alleine in einer Ecke wieder, ohne zu wissen, wo alle anderen mit einem Mal hin verschwunden sind? Unangenehm berührt, aufgeregt, unsicher und voller Hoffnung stehen A und B da, während beide hoffen, dass der andere den ersten Schritt macht. Vielleicht sind A und B auch gemeinsam in der Bibliothek, weil sie dazu verdonnert wurden, für die Uni / Schule ein Projekt gemeinsam zu bearbeiten. Sie sind sich uneins über den Inhalt und wie es immer so ist, gibt ein Wort das andere, bis sie plötzlich schwer atmend und hoch emotional viel zu dicht beieinander stehen und sich sprachlos in die Augen starren? Um eine romantische Szene wirklich auf beide Personen fokussieren zu können, brauchen wir sie auf jeden Fall alleine – oder zumindest müssen beide sich unbeobachtet fühlen.
Auch hier ist wieder Vorarbeit zu leisten. Der Leser möchte in der Szene versinken, Gefühle nachempfinden und in Liebe schwelgen. Beschreibungen der Umgebung stören da nur. Entsprechend ist es wichtig, dass vor der eigentlichen Liebesszene (egal ob Kuss oder Liebesgeständnis oder auch nur Händchen halten) ein klares Bild der Situation entstanden ist. Sind sie in einem Raum oder unter freiem Himmel? Gibt es Bäume in der Nähe? Wo steht der Tisch, wo die Stühle? Vielleicht ist da sogar ein Regal, gegen das A von B gedrängt werden kann? Sind andere Menschen da? Wie steht es um das Licht? Das alles sollte der Leser sich vorstellen können, damit die Interaktion zwischen A und B so plastisch und lebensnahe wie möglich werden kann.
Dann geht es ans Eingemachte: Meistens schreiben wir ja nur aus der Perspektive von einer Person zur Zeit, also können wir uns ganz auf die Gefühle dieser Person konzentrieren: Wie nimmt A ihren Gegenüber wahr? Bemerkt A vielleicht, dass B lange Wimpern hat? Eine schiefe Nase? Größer / breiter / kleiner / schmaler ist? Löst die Aufregung vielleicht Magenflattern aus oder schwache Knie? Schwitzende Hände und rote Wangen sind ebenfalls häufig anzutreffen. Versuche, dich in die Situation von A oder B hineinzuversetzen und jedes noch zu kleine Gefühl, jeden noch so idiotischen Gedanken, den du hättest, nieder zu schreiben. Nehmen wir eine Kussszene an: Wie fühlen sich die Lippen an? Was löst der Kuss aus? Ein Feuerwerk? Ein Seufzen? Das Verlange nach mehr? Wohlige Wärme und ein Gefühl der Geborgenheit und Perfektion? Was fühlst du, wenn du deine geliebte Person küsst – oder was würdest du gerne in so einer Situation fühlen? Liebesszenen leben von Gefühlen und Gedanken. Es mag erregend sein, dass seine Brust trainiert ist oder ihre Oberweite riesig, aber das sind Äußerlichkeiten, die du zuvor beschrieben haben solltest. Konzentriere dich jetzt ganz auf das Innenleben deiner Hauptperson und was sie fühlt, denkt, wünscht.
Danach: Die Überarbeitung
Wenn du diese Szene geschrieben hast, ist sie vermutlich sehr lang, sehr kitschig und voller Klischees geworden. Darum heißt es jetzt: überarbeiten. Eine Liebesszene lebt davon – wie auch jede Actionszene oder generell jeder außergewöhnlich emotionale Moment -, dass der Leser vergisst, dass er liest. Deine Leser möchten in den Gefühlen baden, nicht daran erinnert werden, dass sie bloße Buchstaben auf Papier konsumieren. Lies dir also jeden Satz sorgsam durch: Stolperst du irgendwo? Wenn ja, warum? Überarbeite alle Formulierungen, bis du nicht mehr stolperst. Schreibst du gerne übermäßig ausführlich? Nutzt du gerne viele Adjektive? Sind es hier vielleicht zu viele geworden? Eventuell kannst du welche streichen. Oder gehörst du zu jenen Autoren, die erst ein Skelett schreiben? In deiner Vorstellung ist die Szene vollständig da, doch deine Leser sehen nur den Rohbau. Nach dem ersten Entwurf solltest du dann dein Augenmerk darauf legen, die Situation zum Leben zu erwecken und Fleisch auf die Rippen des Skeletts zu bringen. Versuche auch, nach passenden Begriffen zu suchen: Wenn die Liebesszene in eine Sexszene münden soll, kannst du eher Begriffe wie heiß, leidenschaftlich, roh, hart, erregend, stöhnen, dunkel, verlangend (…) nutzen. Soll es wirklich nur dieser unschuldige Kuss sein, der vielleicht in einem Liebesgeständnis endet, suche nach Worten wie warm, weich, seufzen, schmelzen, genießen, lieblich, beschützend, umschlingen, anlehnen, zärtlich (…).
Natürlich kann auch beides zusammen kommen und noch viel mehr darin stecken, das entscheidet dein Stil. Wichtig ist nur, dass du insbesondere deine beschreibenden Begriffe (Adjektive) nicht wahllos nutzt, sondern dir ganz deutlich bewusst bist, dass jedes Wort eine bestimmte Assoziation auslöst und diese am besten zur Szene passen sollte. Wenn dir beim ersten Schreiben kein perfektes Wort einfällt, nimm irgendeines und grübele später darüber. Wichtig ist, dass die fertige Form sich leicht und emotionsgeladen liest.
Wie schreibst du Liebesszenen? Machst du dir da vorher Gedanken drüber, oder schreibst du sie genauso wie alle anderen Teile deiner Geschichte? Welche Tipps hast du, um den Leser mit auf eine Reise in die Welt der Liebe und Emotionen zu nehmen?
Ich kann nur die Großmeisterin der Knisterszenen empfehlen: http://www.dianagabaldon.com/2012/07/how-to-write-sex-scenes/ 😉
Mir fällt es mittlerweile recht leicht, das Prickeln zwischen die Buchdeckel zu packen, weil ich, seit ich von meiner Protagonistin Melwyn zu Ich-Perspektive und Präsens gezwungen wurde, grundsätzlich sehr tief im Kopf des erzählenden – nein, streichen, setze: erlebenden Protagonisten sitze.
Dieser Stil zwingt dazu, enorm viel wörtliche Gedankenrede zu verwenden, weil es sonst so spröde rüberkommt wie ein Polizeibericht. Also blubbert der Protagonist vor sich hin, schweift mit den Gedanken ab, spürt ein Kribbeln an einigen, Hitze an anderen Körperstellen, weiß das nicht einzuordnen (wenn er unerfahren ist), findet es lästig oder fühlt sich gar vom Körper verraten in einer anderen Konstellation.
Wichtig finde ich, dass man Freude daran hat, darüber zu schreiben.
Wer sich dazu zwingen muss, über Knistern und Prickeln zu schreiben – der sollte lieber an der Schlafzimmertüre ausblenden. Oder auf einen Love-Interest gänzlich verzichten.
Wichtig ist es, dass es glaubwürdig rüber kommt, die Gefühle nachvollziehbar werden und nicht einfach nur behauptet wird, dass hier Empfindungen vorlägen, die der Leser aber nicht erleben kann.
Wenn „Show, don’t tell“ eine Existenzberechtigung hat, dann bei Knisterszenen.
Ach ja, und noch eine Bemerkung zu der vielzitierten Gleichung „Überarbeitung = Kürzen“:
Das trifft beileibe nicht auf alle Autoren zu. Im Gegenteil, je mehr ich kennenlerne, umso öfter kristallisiert sich heraus, dass sie ähnlich schreiben wie ich: Erst ein Grundgerüst und später dann die Feinheiten „anmodellieren“.
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Hey 😀 Ja, die gute Diana Gabaldon steht auch mehr als nur einmal in meinem Regal. Ihre Bücher haben mich bisher noch nie enttäuscht und sie weiß wirklich, wie man eine packende Geschichte mit Romantik verbindet. Wo bei anderen das eine oder das andere schwächelt, ist bei ihr einfach immer alles herausragend.
Was deine Anmerkung zur Überarbeitung angeht – da kam ich wohl missverständlich rüber. Ich selbst gehöre zu den Menschen, die beim Überarbeiten mehr hinzufügen müssen, weil ich meistens ein „Skelett“ schreibe und erst danach das „Fleisch auf die Rippen“ bringe. Ich wollte gar nicht das typische Überarbeiten = Kürzen verstärken, jaja 😀 Da werde ich die Stelle noch einmal umschreiben, damit das deutlich wird. Danke für den Hinweis!
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